ANALYSE / INDUSTRIEPOLITIK IN DER LAUSITZ
Dekarbonisierung und Wasserstoff sind dem Bund nicht mehr wichtig. Schlecht für die Lausitz, die damit ihre Transformation betreibt. Da kann es nicht schaden, mal wieder ein starkes Signal zu senden – wie mit den Decarbon Days in Cottbus.
von Christine Keilholz

Im Hangar 1 auf dem alten Flugplatz im Cottbuser Norden ist nicht oft was los. Die Halle, in der einst mehrere Flugzeuge gleichzeitig wenden konnten, ist zu groß für eine dauerhafte Aufgabe im Hier und Jetzt. Das Gelände drumherum, wo mal der Lausitz Science Park entstehen soll, hat mehr von Weide als von Wirtschaftswunder. Die Decarbon Days, die hier in der vergangenen Woche stattfanden, waren auch ein Verweis auf etwas, das noch nicht da ist. Der Kongress bot eine schillernde Visualisierung dessen, was mal werden kann. Wenn es die Lausitz geschafft hat, das erste Net Zero Valley Europas zu werden.
Drei Tage lang wurde Werbung gemacht für das Valley, über das ein Teil der Lausitzer Wirtschaft seit fast zwei Jahren spricht – der Rest der Lausitz aber noch kaum. Einige versprechen sich sehr viel davon, viele andere gar nichts. Jetzt gehe es darum, Net Zero zum zentralen Thema der ganzen Lausitzer Wirtschaft zu machen, sagte der Vorstandschef des größten Unternehmens: „Da braucht es allerdings Ergänzungen, um das nicht nur zu einer Marketing-Aktion zu erklären für die Lausitz-Runde“, so Leag-Chef Adi Roesch.
Das Bündnis der Kohle-Kommunen hatte den Net Zero Hype losgetreten, die Stadt Cottbus kümmert sich seit Jahresanfang um Anträge und Kampagne. Jetzt übernimmt die Industrie, die dankbar ist für das Schaufenster, das sich hier bietet. Und so waren im vollen Hangar kaum kritische Töne zu hören darüber, was es bedeutet, wenn die ganze Region mit einer einzigen Umweltprüfung die weiße Karte bekommt für jedwede Baumaßnahme, die irgendwie clean und transformatorisch daherkommt. Das ist der Kern der Net-Zero-Kulisse. Das Kritischste, was zur Sprache kam, war, dass das Ganze vielleicht am Ende nicht viel bringt.
Katherina Reiche war noch nicht da
Denn das politische Umfeld hat sich verändert. Seit dem Regierungswechsel in Berlin sieht es aus, als würde die Lausitz ins Abseits der großen Wirtschaft rutschen. Vorbei die Zeiten, als ein grüner Wirtschaftsminister persönlich nach Jänschwalde pilgerte, um über längere Sicherheitsreserven der Lausitzer Kraftwerke zu verhandeln. Oder mit seiner Entourage auf der Kippe in Schipkau einen Energiepark als Vorzeigeprojekt feierte. Jetzt wird Energiepolitik in Bad Saarow verhandelt oder am Tegernsee. Und wenn Worte fallen, die sich anhören wie Südbonus, und die Lausitz lautstark dagegen protestiert, stört das die Republik nicht weiter. Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat sich noch nicht eingestellt.
Mit dem Ende der Ampelregierung ist die Lausitz aus dem Fokus geraten. Doch auch die hatte mit ihrem letzten energiepolitischen Streich, dem Wasserstoff-Kernnetz, die größte Braunkohleregion abgekoppelt. Die Hauptbeförderungslinien für den Energierohstoff der Zukunft führen an der Lausitz vorbei.
Plötzlich findet sich die Lausitz wieder in einer Wirtschaftspolitik, die Dekarbonisierung nicht mehr als ihr Leitthema sieht. Sachsens Ministerpräsident erklärte neulich, ihm persönlich reiche Klimaneutralität durchaus erst 2050 – und schob damit die deutsche Zielstellung fünf Jahre nach hinten. Im Hangar ward Michael Kretschmer (CDU) nicht gesehen. „Leitthemen ändern sich eben“, sagte Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU). „Damit muss man umgehen.“
Für sein Unternehmen bleibe die Dekarbonisierung ein wichtiges Anliegen, sagte Leag-Chef Roesch. Nicht nur, weil die Lausitz seit 1990 so massiv Kapazitäten reduziert hat, dass sie als Meister der Dekarbonisierung durchgehen könnte. „Die fehlende Abhängigkeit von Rohstoffen kann ein Vorteil sein“, sagte Adi Roesch. „Wir sollten jetzt nicht, weil wir das erste Mal Schwierigkeiten haben, das umwerfen.“
Wasserstoff lieber in blau
Für die Lausitz und ihren Kohleausstieg kann es nicht schaden, mal wieder ein Zeichen zu setzen. Dafür bietet das Net Zero Valley den perfekten Anlass. Das Thema hat für jeden etwas: Digitalisierung für die Kommunen. Schlankere administrative Vorgänge für die Unternehmen. Und für alle die europäische Anbindung bei einem zentralen Zukunftsthema. Denn für die EU bleibt Dekarbonisierung wichtig, betonte Christian Ehler. Der EVP-Abgeordnete sieht die Transformation weiterhin im Gange und den Just Transition Fund (JTF) als Rückgrat dieser Transformation.
Ein Hindernis sei allerdings die Regulatorik: „Wir brauchen, um Energieanlagen zu bauen, in Europa fünf bis sieben Jahre. Das kann so nicht bleiben“, so Ehler, der Initiator der Decarbon Days. Ehler will mehr blauen Wasserstoff, der aus Gas gewonnen und in Kombination mit Carbon Capture and Storage (CCS) hergestellt wird. Nur in dieser Variante könne Wasserstoff nachhaltig und zugleich wettbewerbsfähig sein.
Als der Strahlproduzent Arcelor Mittal kürzlich angekündige, seine Produktion nicht zu dekarbonisieren, konstatierte Ehler, es sei nun „offiziell fünf nach zwölf für die europäische Industrie“. Man stehe vor den Scherben einer gescheiterten und ideologisch getriebenen Wasserstoffpolitik. So könne das nichts werden mit der Transformation zur Klimaneutralität in Europa. Gubens Bürgermeister sah die Entscheidung von Arcelor gelassen. Die frei gewordenen Fördermillionen, die der indische Investor nun nicht mehr will, könnten ja auch an Batteriehersteller gehen. Einige sitzen im Gubener Industriegebiet.