Forschungsland Lausitz

17. Dezember 2024

ANALYSE / WISSENSCHAFT IN DER LAUSITZ

2024 hat die Lausitz eine zweite Universität bekommen. Daneben gibt es Fraunhofer, DLR, Astrophysik und Casus zwischen Cottbus und Görlitz. Wie geht es dort voran?

So soll das Astrophysik-Zentrum in Görlitz aussehen. Damit bei der Ansiedlung nicht nur die Heimatstadt des Ministerpräsidenten begünstigt wird, entsteht ein weiterer Standort im Kreis Bautzen. Foto: DZA
So soll das Astrophysik-Zentrum in Görlitz aussehen. Damit bei der Ansiedlung nicht nur die Heimatstadt des Ministerpräsidenten begünstigt wird, entsteht ein weiterer Standort im Kreis Bautzen. Foto: DZA

von Christine Keilholz

Bund und Länder investieren Millionen, um Wissenschaft und Innovation als Zukunftsbranche der Lausitz zu fördern. Der Wissenschaftsaufbau in der Lausitz ist ein zentraler Baustein für den Strukturwandel und birgt großes Potenzial, die Region zukunftsfähig zu machen. Mit der Ansiedlung hochkarätiger Forschungseinrichtungen und Investitionen in Hochschulen wird die Grundlage für eine wissensbasierte Wirtschaft geschaffen.

Dieser Aufbau dauert allerdings lange. Noch länger dauert es, bis der eigentliche Struktureffekt dieser Einrichtungen spürbar wird: Es sollen einerseits hochwertige Jobs entstehen, die jungen Lausitzerinnen und Lausitzern Karrieren in der Heimat ermöglichen. Andererseits sollen diese Jobs international davon künden, dass die Lausitz gut ausgebildeten Leuten Chancen bieten kann. Kurzum: Wissenschaft ist das nachhaltigste Mittel gegen den demografischen Druck, gegen Abwanderung und Überalterung.

Diesen Aufbau können nicht allein Lausitzer Hochschulen bewältigen. Die BTU Cottbus-Senftenberg hat neue Spezialisierungen entwickelt – wie ein Energie-Innovationszentrum, den iCampus und das Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (Chesco). Überdies werden in Senftenberg nun auch Grundschullehrer ausgebildet. Doch das Prestige-Projekt Brandenburgs, die Medizinerausbildung, hat das Land der BTU nicht überlassen. Dafür wird eine dritte Hochschule in der Lausitz gegründet.

Die Hochschule Zittau/Görlitz auf sächsischer Seite steht beim Strukturwandel im Schatten der großen Universitäten. Die TU Dresden ist zum Träger der großen Wissenschaftsprojekte in Ostsachsen geworden. Daneben sind auch die TU Chemnitz und die TU Bergakademie Freiberg mit Projekten in der Lausitz engagiert. Die wichtigsten Forschungsinvestitionen sind diese:

Deutsches Zentrum für Astrophysik in Görlitz

Das Deutsche Zentrum für Astrophysik ist zu der bekanntesten Marke der Lausitzer Wissenslandschaft geworden. Auch dank der unermüdlichen Öffentlichkeitsarbeit des Forscherteams rund um die Astrophysiker Günther Hasinger und Christian Stegmann. Ihr Projekt ging 2022 aus einem internationalen Wettbewerb als Sieger hervor.

Das Zentrum, das Astrophysik mit moderner Datenverarbeitung verbindet, soll von der Oberlausitz aus Grundlagenforschung betreiben. Sie bemühen sich darum, das Einstein-Teleskop als europäische Großforschungseinrichtung in der Lausitz zu holen.

Seit diesem Sommer ist klar, das Zentrum für Astrophysik zieht auf das Görlitzer Kahlbaum-Areal. Damit wird durch die Ansiedlung des Großforschungszentrums gleich eine historische Immobilie ertüchtigt. Solange gebaut wird, residieren die ersten 100 Mitarbeiter in der alten Post in der Innenstadt. Zum Zentrum gehört eine Forschungsanlage in der Gemeinde Ralbitz-Rosenthal im Kreis Bautzen.

Fraunhofer in Cottbus, Görlitz und Zittau

Wie das IEG soll auch das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS) im Lausitz Science Park ansässig werden. Das IPMS mit Sitz in Frankfurt/Oder ist als Forschungsdienstleister spezialisiert auf elektronische und photonische Mikrosysteme, die in Industrie, Gesundheit und Verkehr zum Einsatz kommen. Der Bau der Cottbuser Niederlassung soll 43 Millionen Euro kosten und wird aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen gefördert.

Länger dauert der Baubeginn von Fraunhofer in Görlitz. Dort ist ein Wasserstoff-Forschungszentrum geplant. Das Hydrogen Lab Lausitz aufbauen kämpft zurzeit mit erheblichen Kostensteigerungen beim Bau, erklärte das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz auf Anfrage von Neue Lausitz. Aktuell seien die Planungsphase für eine Außenindustrieanlage noch nicht ganz abgeschlossen. Das Hydrogen Lab soll auf dem Gelände des Turbinenwerks angesiedelt werden, nachdem Siemens dort seine Produktion heruntergefahren hat.

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Cottbus und Zittau

Das Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist zweimal in Cottbus vertreten. Das 2019 gegründete Institut für CO2-arme Industrieprozesse war die erste Ansiedlung von Wissenschaft, die der Strukturwandel in die Lausitz brachte. Das Team des DLR-Physikers Uwe Riedel will Luftfahrt-Technik für die Energiewende in Industriebetrieben nutzbar machen. Damit auch Sachsen etwas davon hat, bekam die Einrichtung noch einen Standort in Zittau. Der Bund stellt für das Institut jährlich zehn Millionen Euro zur Verfügung. Brandenburg trägt zehn Prozent der jährlichen Förderung für den Standort Cottbus.

Die Versuchsanlage, um die sich die Arbeit des DLR-Foschungsteams dreht, steht vorerst in einer gemieteten Halle. Langfristig soll die Einrichtung in den Lausitz Science Park ziehen – wie auch das Institut für elektrifizierte Luftfahrtantriebe. Die zweite Einrichtung des DLR wurde 2020 in Cottbus angesiedelt. Unter Leitung des Physikers Lars Enghardt will das Institut das Fliegen emissionsärmer machen. Enghardt war seit 2009 Professor für Turbomaschinen- und Thermoakustik an der Technischen Universität Berlin und leitete parallel die Abteilung Triebwerksakustik am DLR-Institut für Antriebstechnik. Seit Mai 2023 ist Enghardt Professor an der BTU.

Casus in Görlitz

Die Gründung des Centers for Advanced Systems Understanding (Casus) gab Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schon 2019 bekannt, lange bevor von einem Großforschungszentrum in der Stadt die Rede war. Casus ist ein Gemeinschaftsprojekt von vier großen Wissenschaftseinrichtungen. Darunter zwei Helmholtz-Zentren, ein Max-Planck-Institut und die TU Dresden. Der Bund hat Casus über die ersten drei Jahre mit zehn Millionen Euro finanziert, der Freistaat Sachsen mit einer Million.

Casus sollte den Ruf der ostsächsischen Metropole als IT-Cluster begründen. Leiter ist seit Mai 2023 der Chemiker und Informatiker Thomas D. Kühne, der zuvor Professor in Paderborn war. Seine Aufgabe ist es, die Wissenschaftseinrichtung zu einem weltweit sichtbaren Leuchtturm auszubauen. Um die 100 Mitarbeiter sind derzeit an Bord. Darunter viele Jung-Wissenschaftler aus dem Ausland und unterschiedlichen Disziplinen.

Living Art of Building in Bautzen

Das Projekt „Lausitz Art of Building“ war 2022 der Sieger der Herzen bei der Auswahl des Großforschungszentrums. Jetzt startet es als Bundesforschungsprojekt doch noch durch. Dafür musste die Lausitz aus dem Namen verschwinden. Im Haushaltsausschuss des Bundestags fiel im Juli die Entscheidung, das LAB unter dem neuen Namen „Living Art of Building“ mit 68,6 Millionen Euro anzuschieben. Mit dem Geld können die Planungen beginnen für das Bundesforschungszentrum für klimaneutrales und ressourceneffizientes Bauen.

Ein Erfolg für den Dresdner Bauforscher Manfred Curbach, der das Projekt initiiert hat. Unter neuem Namen soll der mehrjährige Aufbau unter dem Dach des Bundesbauministeriums beginnen. Allerdings: Als Forschungsstätte von nationaler Bedeutung muss das LAB auch Standorte in mehreren Regionen vorweisen. Neben dem Hauptsitz Bautzen sollen Niederlassungen in Weißwasser, Hoyerswerda und Niesky entstehen. Aber die Rede ist auch von Cottbus, Weimar und Aachen, nebst Rheinland-Pfalz und Bayern. Ab Januar soll der Aufbau beginnen, erst danach wird die Standortfrage beantwortet.

Carbon Lab Factory in Boxberg

In Boxberg soll eins der Prestigeprojekte Sachsens im Strukturwandel entstehen. Der Bau der Carbon Lab Factory soll im nächsten Jahr beginnen. Die Einrichtung, die die TU Chemnitz im Landkreis Görlitz umsetzen will, wird mit mehr als 62 Millionen Euro aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen gefördert. Die Gemeinde im Schatten des größten Kohlekraftwerks der Lausitz soll mit dem Leichtbau-Campus einen neuen Leuchtturm bekommen. Ein erster Gebäudeabschnitt soll bis Ende 2026 fertiggestellt sein, der Rest bis 2027.

Leichtbauteile aus Carbonfasern kommen im Automobilbau oder in der Luft- und Raumfahrt zum Einsatz; sie werden auch in der Bauwirtschaft wichtiger. Das Konzept des Chemnitzer Leichtbau-Forschers Lothar Kroll ist als europaweit einmaliges Forschungszentrum angelegt und soll nachhaltige Carbonfasern entwickeln.

Medizin-Universität in Cottbus

Die größte Forschungs-Investition der Lausitz ist schließlich die Gründung einer komplett neuen Universität in Cottbus. Dafür hat das Land Brandenburg im Sommer die Voraussetzungen geschaffen und das ehemals städtische Carl-Thiem-Klinikum übernommen. In den nächsten Jahren soll die Klinik zu einer Universitätsklinik mit 80 Professorenstellen aufsteigen.

Der Bund hat die Gründung als Strukturwandel-Projekt akzeptiert, der Wissenschaftsrat hat sein Placet gegeben. Bis zum Jahr 2038 investieren Bund und Land 2,1 Milliarden Euro für Aufbau und Betrieb der Hochschule, die in Forschung und Lehre 1.300 Menschen beschäftigen soll.