HINTERGRUND / ENERGIEWIRTSCHAFT IM KREIS GÖRLITZ
In Schleife im Kreis Görlitz soll ein Kraftwerk mit Speicher und Windpark entstehen. Dafür muss ein Wald auf einem Kippengelände weichen. Nach zwei Jahren Planung machen nun die Investoren Druck.
von Christine Keilholz

Im Sorbischen Kulturzentrum in Schleife treffen zwei Welten aufeinander. Hier die Energie-Manager um die 30, die eifrig Infomaterial verteilen. Dort die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde, die genau wissen wollen, was auf sie zukommt. Der Saal ist gut gefüllt an diesem Mittwoch Ende April. Rund 50 Menschen bewegen sich zwischen den Schautafeln. In der Luft liegen Neugier, Skepsis und Überzeugungswille.
Es geht um eins der größten und komplexesten Energieprojekte in der Lausitz. Ein Konsortium mehrerer Investoren will auf dem Gebiet der 2.500-Einwohner-Gemeinde Windenergie gewinnen, speichern und verkaufen. Beteiligt ist das Energie-Unternehmen Enercity,ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Hannover, das 25 Windräder aufstellen will. Dazu wollen die Prolignis AG aus Ingolstadt und der Bautzner Projektentwickler BME Dr. Golbs und Partner Nahwärme gewinnen und Speicher produzieren. Zusammen mit dem Flächeneigentümer, der Firma „Forst Rohne“, wollen die Partner in Schleife um die 500 Millionen Euro investieren.
Seit mehr als zwei Jahren ist das Projekt im Gespräch. Es gab schon viel Streit. Nun soll es schnell gehen. „Uns läuft die Zeit weg“, sagt Andreas Golbs. „Wir gehen in diesem Jahr in den Verkauf. Wir haben Großkunden, die von uns Lieferzusagen haben.“ Das haben er und seine Kollegen bereits im Gemeinderat betont. Der Gemeinderat hat dem Projekt bereits zugestimmt. Scheitern kann es, wenn einzelne Teile des Vorhabens von der Bevölkerung nicht angekommen werden. Gegen die Skepsis hilft persönliches Kennenlernen, deshalb sind alle ins Kulturzentrum gekommen.
Fichtenwald soll weichen
Schleifes Geschichte ist typisch für das, was derzeit viele Kommunen erleben, wo Goldgräberstimmung auf Transformationsdruck trifft. Die Ortsteile Schleife, Rohne und Mulkwitz kleben am Tagebau Nochten. Hier lebte man lange unter dem Dreck und dem Verdrängungsdruck der Kohleindustrie. Nun ziehen neue Energien ein, die Wirtschaftswachstum, Perspektiven und Geld für die Gemeindekasse versprechen. Hier sind die Investoren aus der Ferne, dort ist die Gemeinde, die Einnahmen braucht. Da kollidieren die Interessen zwischen industrieller Energieproduktion und Naturschutz. Denn Wind- und Sonnenstrom wird oft genau dort interessant, wo sich die Landschaft gerade erst von der Zerstörung durch die Bagger erholt hat.
Der Fichtenwald, der auf der Mulkwitzer Hochkippe den Windrädern weichen soll, ist zwar nicht von ökologisch herausragendem Wert. Aber er ist ein Stück Natur, das die Schleifer zu schätzen wissen. Die 25 Windenergie-Anlage der Klasse sechs bis sieben Megawatt werden mit 250 Metern Höhe alles weit und breit überragen.
Den Investoren ist es wichtig, lokale Verbundenheit zu zeigen. Deshalb trägt das Projekt, das bisher unter dem Namen „ökologisches Kraftwerk“ lief, neuerdings die Marke „Romus“. Das bedeutet Rohne, Mulkwitz und Schleife. Auf dem Flyer steht „Die Gemeinde Schleife hat sich fest dazu entschlossen, eine Vorreiterrolle in der Nutzung erneuerbarer Energien einzunehmen.“ Romus, so heißt es dort, unterstütze die Gemeinde dabei, dieses Ziel zu erreichen – und setze dabei „ein Zeichen für den Schutz unseres Planeten und für eine nachhaltige Zukunft.“ Im engeren Sinne bedeutet das auch, Schleife muss ein guter Ort zum Leben bleiben.
Hirsch- und Wolfsfreunde protestieren
Dazu gehört für viele Schleifer auch das Gelände, das die Firma „Forst Rohne“ in den 1990er Jahren von der Treuhand gekauft hat. Besitzer Lothar Saiger, Zahnarzt aus Dürmentingen in Baden-Württemberg und bekennender Jagdfreund, ist nur bedingt der Herr im eigenen Wald: „Das ist ein öffentlich zugängliches Gelände, an dem sehr viele Leute viele Rechte haben.“ Über die 870 Hektar verlaufen einige Kilometer Bahnschienen, drei Gasleitungen und mehrere Stromleitungen. Die Feuerwehr nutzt die ausgebauten Wege. Es klingt eher wie eine Verkehrszone im Grünen als Naherholungsgebiet. Aber das ist es für viele eben auch. Die Naturschützer vom Nabu und die Wolfsschützer haben ein Interesse an den Hochkippen. „Wir versuchen, alle Interessen bestmöglich übereinander zu bringen.“
Doch das wird immer schwerer, lässt der Eigentümer durchblicken. Seit die Pläne fürs Kraftwerk bekannt wurden, habe das Gelände eine Karriere als Naturreservat gemacht. Wohnmobile aus Kiel und dem Rheinland machen Halt, deren Besitzer der die Hirschbrunft erleben wollen. „Es kommen Leute aus der ganzen Republik, die Wölfe fotografieren wollen, weil das im Internet stand.“ Einheimische seien eher selten da, meint Saiger. Indes gibt es eine Bürgerinitiative Mulkwitzer Hochkippen, die als Wählervereinigung bei den Kommunalwahlen antritt.
100.000 Euro für Vereine versprochen
Wie die Einheimischen zum Romus-Projekt stehen, wird sich sich in den nächsten Wochen zeigen. Die Gemeinde hat eine Umfrage initiiert, wie viele Haushalte Interesse an der Wärmeversorgung durch die Prolignis AG hätten. Am Ergebnis der Umfrage hängt die Zukunft des gesamten Projekts. Auch das ist die Botschaft im Sorbischen Kulturhaus: Die Investoren machen klar, dass das Projekt nur als Ganzes für sie funktioniert. Die Verbundlösung ist zwingend. Nur wenn das Vorhaben in der geplanten Weise möglich ist, halten die Investoren an Schleife fest.
Für Bürgermeister Jörg Funda (CDU) steht viel auf dem Spiel. Durch die Beteiligung gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz kann seine Verwaltung hohe Einnahmen erwarten. Von einem hohen sechsstelligen Betrag ist die Rede. Darüber hinaus hat Enercity angekündigt, jährlich 100.000 Euro an örtliche Vereine zu geben. „Dieses Geld kann ein ganz deutlicher Hebel sein im Strukturwandel“, sagt Funda. „denn zehn Prozent Eigenanteil braucht man dabei immer.“
Der Bautzner Projektentwickler BME produziert seit Anfang 2022 ein Speichersystem in Kleinserie in Dömitz in Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist wenig Platz zum Erweitern. In Schleife soll die Großproduktion laufen, erklärt Andreas Golbs. Schleife sei zwar weit weg von der Autobahn, Aber durch die Verbundlösung könne man diesen Makel ausgleichen. Golbs hätte die Entscheidung im Dorf gern ein Jahr früher gehabt. „Nervös werde ich jetzt gerade“, sagt er. „Ich sitze ja noch hier. Aber zwei Jahre warte ich nicht nochmal.“ Anfang 2026 will Enercity die ersten vier Windräder in Betrieb nehmen. Ende dieses Jahres will man mit dem Bau beginnen.