ANALYSE / INDUSTRIEPOLITIK IN DER LAUSITZ
Es gilt als das neue vereinende Leitthema der Region. Und es soll dem Strukturwandel neuen Schwung bringen. Doch nicht alle sind froh, dass sich die Lausitz als Net Zero Valley bewirbt.
von Christine Keilholz

In diesem Juni wird Net Zero gleich zweimal groß gefeiert. In der kommenden Woche lädt die Lausitz-Runde zur Zukunftskonferenz nach Großkoschen im Kreis Oberspreewald-Lausitz. Dort kommen am Senftenberger See Minister, Bürgermeisterinnen und Unternehmer zusammen.
Die gleiche Szene trifft sich Ende des Monats auf dem Flugplatz in Cottbus. Die dort angesetzten „Decarbon Days“ widmen sich ganze drei Tage lang dem Net Zero Valley, das die Lausitz werden möchte. Organisiert wird das Event vom Werbeunternehmen „Zwei Helden“ aus Cottbus, Initiator ist der Europa-Abgeordnete Christian Ehler (CDU). Für die Finanzierung sorgen etliche Sponsoren, wie der Verein Pro Lausitz.
Man wird sich weitgehend einig sein, dass der Net Zero Industry Act eine große Chance für die Lausitz bedeutet. Und dass es ein politisches Glanzstück der Kommunen war, das Interesse Brüssels auf sich zu ziehen und sich sogar noch die Fürsprache der zuständigen Kommissare zu sichern. Ein weiteres Mal ist es gelungen, die Wirtschaft der Lausitz hinter einem integrativen Motto zu vereinigen. Net Zero ist praktisch der neue Strukturwandel. Nicht weniger. Und möglicherweise auch nicht mehr.
Antwort auf Inflation Reduction Act
Denn noch ist wenig Konkretes bekannt über Net Zero. Mit der Verordnung untermauert die EU ihre Ambitionen, zur weltweit führenden Produktionsstätte für saubere Technologien zu werden. Der Net Zero Industry Act trat im Frühjahr 2024 in Kraft, als das europäische Pendant zum amerikanischen „Inflation Reduction Act“. Ziel ist es, bis 2030 mindestens 40 Prozent des heimischen Bedarfs an Schlüsseltechnologien für die grüne Transformation in Europa selbst zu produzieren. Dazu zählen Solarmodule, Windturbinen, Elektrolyseure, Batterien und CO2-Speichertechnologien.
Der Gesetzesrahmen vereinfacht Genehmigungsverfahren, schafft einheitliche Ausschreibungsbedingungen und fördert sogenannte Net Zero Valleys. Das sind regionale Cluster, in denen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Kommunen eng zusammenarbeiten, um klimaneutrale Industrien aufzubauen.
Das alles macht Net Zero für die Lausitz attraktiv, verspricht es doch neuen Schwung für den Strukturwandel. Der ist ins Stocken gekommen, seit die Fördermittel bis 2026 weitgehend verplant sind und Bauprojekte sich massiv verzögern. Auf große Erwartungen folgt bereits Ernüchterung, weil Vorhaben nicht genehmigt werden. Und weil fünf Jahre nach dem Kohleausstiegsbeschluss noch keine neue Kernindustrie erschienen ist, die ersetzen könnte, was mit der Braunkohle wegfällt.
Was aber noch da ist, ist die Einigungskraft einer verheißungsvollen Zukunftsvision. Die ist entstanden, als Bürgermeister und Bundespolitiker gemeinsam in der Kohlekommission Pläne machten. Diese Vision soll nun mit Net Zero wiederbelebt werden.
Leichtere Verfahren und EU-Förderung
Brüssels Angebot an Regionen, die sich als Net Zero Valley behaupten: Unternehmen, die sich niederlassen und in grüne Schlüsseltechnologien investieren, könnten von vereinfachten Verfahren, EU-Förderungen und strategischer Unterstützung profitieren. Zudem erhöht die gesetzliche Zielmarke von 40 Prozent EU-Produktion den wirtschaftlichen Druck, Standorte innerhalb Europas zu stärken – anstatt weiterhin auf Importe aus China zu setzen.
Das löst nicht nur Freude aus. Kritiker warnen vor einem Wettlauf um Fördergelder, bei dem wirtschaftsstärkere Regionen wie Bayern oder Baden-Württemberg erneut die Nase vorn haben könnten – trotz vorhandener EU-Leitlinien zur Kohärenz, also zur Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Regionen.
Außerdem werden in der Lausitz Stimmen laut, die das schnelle Durchgenehmigen als Risiko betrachten. Das Umweltnetzwerk Grüne Liga fürchtet, dass im Namen des Klimaschutzes Bäume und Beteiligungsrechte fallen könnten. „Die Initiatoren des Lausitzer Antrags wollen aber hunderte Hektar Wald roden und neu versiegeln, obwohl die Region über ausreichend ehemalige Industrieflächen verfügt“, heißt es aus der Gruppe.
Kern der Kritik ist der Plan für eine einmalige Umweltprüfung, die im gesamten Net Zero Valley Lausitz gelten soll. Damit müssten Vorhaben nicht einzeln geprüft werden sondern können diesen Genehmigungsschritt überspringen. Umweltschützer kritisieren, hier würden Risiken ausgeblendet, die etwa das Wasser betreffen. Das droht in der Region knapp zu werden, was bereits jetzt Investitionen ausbremst. Doch das wird auf den beiden Konferenzen kaum besprochen werden. Stattdessen stehen die Verheißungen von beschleunigten Genehmigungen und die Wünsche der Industrie an die Politik auf dem Programm.