Günstig mit den Öffis fahren, das war einen Sommer lang ein gelebter Traum. Das geplante 49-Euro-Ticket kann da nicht mithalten, findet der Schüler Tom Matzke.
von Tom Matzke
Kaum eine politische Maßnahme hat das Leben von Jugendlichen so sehr verändert wie das 9-Euro-Ticket. Ich habe es oft und gerne genutzt. Während der Schulzeit bin ich aktiv mit dem 9-Euro-Ticket zur Schule und in den Ferien nach Dresden gefahren. Viele Freundinnen und Freunde profitierten ebenfalls davon. Einige, die sonst den ÖPNV nicht nutzten, benutzten ihn. Einen Sommer lang konnten junge Menschen auch ohne Führerschein ihre Umgebung so nutzen, wie es im 21. Jahrhundert möglich sein sollte: Günstig, unbegrenzt und unkompliziert.
Ich lebe in Bautzen und habe hier Freunde und Verwandte, denen es ähnlich geht. Für uns sind Bus und Bahn bisher die einzige Möglichkeit, uns frei über Ortsgrenzen hinweg zu bewegen. Wer kann, lässt sich mit dem Auto fahren. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind teuer, zu kompliziert und im ländlichen Raum zu lückenhaft. Das 9-Euro-Ticket hat das verändert. Das Ticket gab die Möglichkeit, Öffis zu nutzen ohne verwirrende Ticketpreise, ohne Sperrzeiten und nahezu ohne Gültigkeitsbeschränkungen. Das war eine Chance, den Lebensradius von Jugendlichen zu vergrößern.
Das als Nachfolgermodell beschlossene 49-Euro-Ticket, das im Mai starten soll, kann diesen Vorteilen nur teilweise gerecht werden. Das 49-Euro-Ticket funktioniert über alle Verbundräume hinweg, funktioniert zu jeder Zeit und ist für dieselben Fortbewegungsmittel gültig, wie das 9-Euro-Ticket. Jedoch ist das Deutschland-Ticket teurer und bringt, anders als das 9-Euro-Ticket, nicht allen Bürgerinnen und Bürgern eine nennenswerte Verbesserung ihrer Mobilität.
Guter ÖPNV macht ländlichen Raum attraktiver
Glücklicherweise konnte in Sachsen das Bildungsticket eingeführt werden. Damit fahren alle Schülerinnen und Schüler für nur 15 Euro im Monat. Leider ist das Bildungsticket auf einen Verbundraum begrenzt. In Sachsen gibt es fünf verschiedene Verbundräume und wenn ich meinen Bruder in Dresden besuchen möchte oder für Veranstaltungen weiter reisen muss, macht sich dies im Geldbeutel bemerkbar.
Eine Kritik am 9-Euro-Ticket war, dass es am Ende nur den Großstädten nütze, wo dann die Leute billiger ÖPNV fahren, während die Flächenländer dafür zahlen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Das 9-Euro-Ticket ist aus wirtschaftlichen Gründen ein Ticket gewesen, dass sowohl dem städtischen Raum wie auch dem ländlichen Raum genutzt hatte. Es geht hier nicht darum, nach Sylt zu fahren, sondern um den alltäglichen Gebrauch, etwa um kostengünstig zur Schule zu fahren. Oder die Familie in Dresden zu besuchen, ohne dafür monatlich mehr als 40 Euro zu benötigen. Wäre das möglich, würde es die Attraktivität des ländlichen Raums für junge Menschen enorm erhöhen. Wir alle wollen, dass Jugendliche nach Ende der Schule nicht gezwungen sind, aus dem ländlichen Raum wegzuziehen.
Das 9-Euro-Ticket ermöglichte für Menschen aus allen wirtschaftlichen Schichten mit dem ÖPNV, sowie dem Regionalverkehr zu reisen. Ziel war, dass mehr ÖPNV genutzt wird und die Menschen in diesem Land entlastet werden. Erhebungen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen zeigen, dass jeder 5. Käufer vor dem 9-Euro-Ticket den ÖPNV nicht genutzt hat. Damit haben viele Menschen durch den günstigen Preis den Nahverkehr für sich entdeckt – und dafür das Auto stehengelassen.
43 Euro monatlich sind zu viel
Viele Millionen Menschen können sich keine Autos leisten. Für sie bedeuten ÖPNV und Regionalverkehr eine Erweiterung ihrer Heimat und der Möglichkeiten, Arbeit oder sozialen Anschluss zu finden. Im Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON), der für meine Heimatstadt Bautzen zuständig ist, kostet eine reguläre Monatskarte 43 Euro. Das ist zu teuer und so gehört es zur Lebensrealität zahlreicher Menschen, dass auf den ÖPNV verzichtet werden muss oder andere Fortbewegungsmittel genutzt werden.
Ich kenne aus meinem Freundeskreis und meiner Familie viele Leute, die über den Sommer mehr mit Bus und Bahn gefahren sind, weil es das günstige und unbürokratische 9-Euro-Ticket gab, das man ohne lange herumzutippen aus dem Automaten ziehen konnte. Nun ist das 9-Euro-Ticket schon ein halbes Jahr lang Geschichte – und viele fahren wieder Auto oder müssen verzichten, als wäre nichts gewesen.
Auch, wenn Pendler stark durch das 49-Euro-Ticket profitieren, wird voraussichtlich die Popularität des ÖPNV und des Regionalverkehr abnehmen und sich in etwa auf einem Vor-Ticket-Niveau ansiedeln. Das wäre schade, denn wenn wieder mehr Leute aufs Busfahren verzichten müssen, dann wird sich das Angebot auf Dauer nicht bessern.
Tom Matzke, 18, ist Schüler in Bautzen. Er engagiert sich politisch und ehrenamtlich beim Klimabündnis Bautzen. Die Themenkomplexe Bildung, soziale Gerechtigkeit und ländlicher Raum sind ihm besonders wichtig.
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 28. Februar 2023.
Dies ist ein Beitrag aus dem Neue Lausitz Briefing vom 28. Februar 2023.
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