INTERVIEW / HARRY LEHMANN ÜBER ERNEUERBARE UND NACHHALTIGKEIT
Weniger Treibhausgas darf nicht zu Problemen an anderer Stelle führen. Daran arbeitet der Physiker Harry Lehmann am PtX Lab in Cottbus. Sein Thema ist grünes Kerosin, aber es geht auch um mehr. Lehmann ist seit Kurzem das erste Lausitzer Mitglied im renommierten Club of Rome.

Herr Lehmann, der Club of Rome, dem Sie seit 2023 angehören, ist vor 55 Jahren angetreten, den Planeten zu retten. Wo stehen wir heute bei der Rettung des Planeten?
Wir machen nicht genug. Der Treibausgasausstoß ist dreimal zu hoch und das Thema nicht überall in Europa und der Welt angekommen. Doch ich beobachte auch Positives: Noch nie hat so viele Investitionen in Klimaschutz gegeben wie jetzt. Fakt ist aber: Wir müssen mehr Tempo machen!
Gibt es auch Fortschritte?
Ja, die gibt es. Wir reden heute über zwei Grad Celsius Erderwärmung. Als ich anfing, ging es noch um neun Grad. Diese Entwicklung ist schon mal nicht schlecht.
Hilft es auch, dass heute mehr über Klima geredet wird? Es ist eins der großen Nachrichtenthemen geworden.
Ja, aber gleichzeitig hat das auch nicht viel zu sagen. Regelmäßig rückt Klimaschutz in den Fokus. Danach verschwindet er wieder. Der Spiegel hat schon in den 1970er Jahren große Titelgeschichten darüber gebracht, in den 1980ern wiederholte sich das. Bewirkt hat beides leider wenig. Das ist das Problem. Wir brauchen nicht nur alle paar Jahre Aktionismus, sondern konstantes, langfristiges Engagement. Aber damit tut sich der Mensch scheinbar schwer.
Konstantes Engagement wie konkret?
Mit Engagement in drei Bereichen. Zunächst geht es um die Erhaltung der Biosphäre des Erdsystems. Daraus ergibt sich der Klimaschutz, woran wir seit Dekaden arbeiten, und der Bedarf des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Der zweite Bereich gilt der Biodiversität. Es dürfen nicht noch mehr Arten verschwinden. Und drittens müssen wir die Stoffströme zunehmend zirkulär und effizient gestalten. Letztlich zählt die Frage, wie viel und welchen Wohlstand wir uns leisten können.
Wie weit sind wir damit?
Es geht nur, wenn verschiedene Lösungssysteme zusammenwirken – das wissen wir inzwischen. Wenn ich daran arbeite, weniger Treibhausgas zu emittieren, darf die technische Umsetzung keine neuen Probleme verursachen.
Wir werden zurzeit mit vielen neuen Problemen konfrontiert, die durch mehr Klimaschutz entstehen. Etwa bei der Diskussion um Landverteilung für erneuerbare Energien. Oder bei der Frage, wie wir mit bereits bebauten Flächen umgehen. Haben Sie Antworten?
Für die Frage zur Landnutzung gibt es verschiedene Lösungen. Wir alle könnten weniger Fleisch essen. Weniger Fleischkonsum führt zu weniger Weideflächen und anderen Nutzungsmöglichkeiten. Auch ließen sich mehr bestehende Weideflächen mittels Agri-Photovoltaik bewirtschaften. Außerdem gibt es noch eine ganze Menge versiegelter Flächen, die nutzbar gemacht werden könnten, und die vielen Flächen aus dem Braunkohle-Abbau. Vor allem darüber, wie wir mit rekultivierten Flächen umgehen, werden wir als Gesellschaft sicher noch lange debattieren. Unerlässlich ist es aber, genügend Flächen mit Natur zu verbinden. Probleme mit der Artenvielfalt entstehen da nicht.
Auch nicht für Vögel, die in Windräder geraten?
Bitte nicht dieses Thema. Schon 1990, als ich die ersten Vorträge darüber hielt, wurde hierzu viel Quatsch berichtet und versucht, Umweltschützer*innen und Wirtschaftstreibende gegeneinander auszuspielen. Ich würde nicht behaupten, dass jede Windkraftanlage richtig ist. Auch diese Firmen agieren profitorientiert und manche hat sicher auch Eurozeichen in den Augen. Aber an dieser Stelle kann man in Prozesse reingehen, miteinander reden, gemeinsam optimale Standorte ermitteln und den Umbau beginnen.
Ist die Landwirtschaft in Deutschland bereit dafür?
Wenn ich überlege, wie eine nachhaltige Landwirtschaft aussieht, die mit den Böden gut umgeht, schaue ich von einem Zukunftsbild her. Ich blicke auf mittelständische Unternehmen, die den Großteil der Produktion leisten. Wir haben in Deutschland viel Fläche für Wind. Diese müssen wir aber auch fair verteilen. Deutschland könnte sich vollständig mit Strom aus Erneuerbaren versorgen. Das ist aber nicht sinnvoll. Besser wäre es, grünen Strom bei Ländern mit Überkapazitäten einzukaufen und sich auf anderes zu konzentrieren.
Der Umbau hin zur CO2-freien Wirtschaft läuft ja bereits. Sind Sie zufrieden, wie es läuft?
Zurzeit zeigt sich ein Problem: Wir müssen den Einsatz erneuerbarer Energien priorisieren. Wir müssen genau wissen, wofür wir sie einsetzen und die Transformationsphase gut organisieren. Beim Umweltbundesamt lag unser Fokus auf dem Gebäude- und dem Verkehrssektor, insbesondere der Luftfahrt. Das sind die größten Klimakiller. Doch die Verteilung wird nicht wissenschaftlich, sondern politisch entschieden. So gibt es einige, die mit E-Fuels die Verbrennungsmotoren retten wollen. Es ist das alte Lied: Wer sein Geschäftsmodell retten will, sagt immer: Meins zuerst.
Dahinter steckt sicher der nachvollziehbare Wunsch, die Industrie, wie wir sie kennen, in die Zukunft zu retten.
Die Industrie war immer im Wandel. Produktion ist dort, wo sie findet, was sie braucht. Die wichtige Frage für uns als Gesellschaft ist nicht, wie wir die Messerschleiferei in Solingen retten, sondern wie wir in Mitteleuropa genügend Arbeitsplätze erhalten, um auch in Zukunft eine produzierende Industrie zu haben. Die Industrie der Zukunft wird eine sein, die ressourceneffizient arbeitet und viel repariert. Frankreich macht das schon.
Welche Industrien wären denn wünschenswert?
Eine ökologische Chipproduktion ist beispielsweise sinnvoll. Es gibt Firmen, die weltweit grün produzieren. Jetzt wäre eine Chance, die zu subventionieren, die auch morgen noch funktionieren. Eine Massenproduktion von Aluminium hingegen werden wir bald wohl nicht mehr in Europa haben.
Und wie sieht das mit der Massenproduktion von Energie aus?
Sich von einer Massenproduktion zu verabschieden, ist ein langer Prozess. Den haben wir leider bei der Kohle viel zu spät begonnen. Wichtig ist jetzt, dass wir uns Technologien für eine neue, grüne Energiewirtschaft sichern. Das passiert in Cottbus längst – unser PtX Lab Lausitz ist Teil davon. Wir brauchen diese Technologien, um auch in Zukunft eine Industriegesellschaft zu sein. Dabei muss alles, was wir jetzt installieren, ressourceneffizient sein. Wenn wir innerhalb der EU die Effizienz verdoppeln wollen, dürfen wir nur noch halb so viele Ressourcen verbrauchen.
Harry Lehmann, 69, leitet das im August 2021 gegründete PtX Lab Lausitz in Cottbus. Davor war der promovierte Physiker unter anderem Leiter des Fachbereichs „Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien“ im Umweltbundesamt in Dessau. 2023 wurde er zum Mitglied des renommierten „Club of Rome“ ernannt. Mit Harry Lehmann sprach Christine Keilholz.