Die Lausitz ist weltweit zur Marke des Kohleausstiegs geworden. Kohleregionen wollen von uns lernen, wie das geht. Ihnen sollten wir etwas bieten.
Ein Gastkommentar von Franziska Stölzel
Das Wort „Modellregion“ ist seit einiger Zeit öfter zu hören in der Lausitz. Die Lausitz will Modellregion sein für alles, was modern und innovativ klingt. Modellregion für Wasserstoff, für Künstliche Intelligenz oder gleich für den ganzen Strukturwandel – am besten europaweite Modellregion. Was genau das heißt, wird nicht immer klar. Modellregion kann sich jede Region nennen, ohne dafür bestimmte Bedingungen vorzuweisen oder zertifizierte Daten zu erheben.
Im Mai war ich als Lausitzerin eingeladen, vor kolumbianischen Kohlearbeitern zu sprechen. Kolumbien kämpft mit den Negativfolgen des Raubbaus, ist aber wirtschaftlich abhängig von der Steinkohle. Mein Publikum war sehr interessiert daran, wie die Lausitz den Ausstieg aus der Braunkohle schaffen will. Durch das Forum „CNV Internationaal“, eine Organisation die sich für sichere und fair bezahlte Arbeit weltweit einsetzt, konnte ich einiges zu Richtlinien und Strukturprojekten in Deutschland erzählen. Die Zuhörer wollten wissen, ob der Lausitzer Strukturwandel auch funktionieren kann in einer kolumbianischen Region.
Wir sind längst eine Modellregion für andere
In europäischen Netzwerkveranstaltungen ist die Lausitz gefragt. Ich darf dort oft als junge Frau von den Visionen und Ideen erzählen – aber auch von den Hürden, an die man beim Gestalten des Strukturwandels stößt. „Just Transition“, also der gerechte Übergang, ist zu einem Ziel der Energiewende in Europa geworden. Das Ziel ist immer das gleiche: Bergbauregionen sollen durch die grüne Transformation lebenswert und zukunftsfähig werden. Nun werden gute Beispiele gesucht, da kommt die Lausitz ins Spiel.
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„In allen Kohleregionen in denen ich bisher geforscht habe, fühlt sich die aktive Bürgerschaft nicht ausreichend wahrgenommen, ist ausgelaugt und fühlt sich von Entscheidungen ausgeschlossen“, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Franziska Stölzel.
Foto: Tine Jurtz
In allen Kohleregionen in denen ich bisher geforscht habe, fühlt sich die aktive Bürgerschaft nicht ausreichend wahrgenommen, ist ausgelaugt und fühlt sich von Entscheidungen ausgeschlossen. Das ist die Erkenntnis aus dem Projekt „Reboost“. Darin haben wir anhand von drei Fallstudien die Lausitz, das polnische Konin und das rumänische Gorj verglichen. Die Lausitzer Idee, in Tourismus und Forschung zu investieren, haben andere Regionen in Europa auch. Die Probleme vor Ort sind oft ähnlich, aber zeitversetzt. Die Lausitz ist früh dran und ist deshalb beispielhaft für andere Regionen. Unsere Erfahrungen dienen anderen als Richtschnur.
Wir können dem globalen Süden etwas zurückgeben
Nach meinem jüngsten Vortrag auf dem Überlandfestival in Görlitz entstand eine Diskussion, was es bedeutet, Modellregion zu sein. Einfach sagen kann man es wohl so: Eine Modellregion ist eine Region, die eine Idee umsetzt, die es vorher noch nicht gab. Verbunden ist damit ein Prozess, der für alle zugänglich und verständlich ist und die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger garantiert. Messbare Ziele müssen aufgestellt, kommuniziert und bewertet werden. Diese müssen positive Effekte auf mehrere gesellschaftliche Bereiche haben. Einzigartigkeit, Transparenz, Partizipation und Qualität zeichnen eine Modellregion aus.
Was die Modellregion erreicht hat, muss auch in Regionen mit abweichenden Bedingungen funktionieren. Mit Kolleginnen und Kollegen aus Kolumbien, Mosambik, Südafrika und Indonesien arbeiten wir an einem internationalen Vergleich von Kohleausstiegs-Szenarien. Dass Europäer in Ländern des globalen Südens ihre Ideen umsetzen, stößt manchmal auf Vorbehalte. Angesichts der Geschichte kann man das verstehen: Bergbau war eine gängige Methode der Industrieländer, ihre Kolonien auszubeuten. Mal ging es um Gold und Silber, Diamanten oder eben Energie-Rohstoffe. Jetzt haben wir die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Indem wir den Strukturwandel exportieren.
Noch nicht alles hier taugt als gutes Beispiel
Die Aufgabe als Modellregion besteht darin zu erfassen, wie einzigartig eine Idee ist. In unzähligen europäischen Kohleregionen wird Wasserstoff erforscht. Die Lausitz als Modellregion muss beweisen, warum sie in der Wasserstoff-Forschung besser, schneller und effizienter ist als andere. Zudem gilt zu prüfen, wie dieser Prozess auch anderen Regionen wirtschaftlichen Erfolg bringen kann.
Während wir uns noch fragen, was eine Modellregion ist, schauen andere schon mit Interesse auf uns. Die Kolumbianer fragten mich nach der Zusammenarbeit mit den Menschen, die ihre Jobs durch den Kohleausstieg verlieren werden. Sie wollten wissen, wie die Lausitz ihnen eine sorgenfreie Zukunft ermöglichen will. Diese Zusammenarbeit findet mit den Bürgerinnen und Bürger in der Lausitz viel zu wenig statt.
Die Transparenz und Partizipation von betreffenden BürgerInnen kann durch eine Vielzahl neuer Methoden, frischer und origineller gestaltet werden. Auch beim Zugang zu Fördermitteln lässt sich einiges verbessern. Ich arbeite zurzeit mit einer Kollegin an der Finanzierung für ein länderübergreifendes Projekt bei welchem sich AkteurInnen aus ganz Deutschland vernetzten. Dabei erleben wir enorme Probleme bei der Antragsstellung. Auch bürokratisch könnte die Lausitz ein Modell für andere sein, wenn sie nur will.
Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 20. September 2022.
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