Kristin Schütz will für die Liberalen Landrätin in Görlitz werden. Dafür braucht sie starke Partner für Mehrheiten. Aber sie nimmt nicht jeden.
Von Robert Saar
Der indiskrete Charme der Kandidatin geht so: „Der besondere Charme an meiner Kandidatur“, sagt Kristin Schütz frisch heraus. „Sollte ich gewählt werden, müsste ich vom ersten Tag an im Kreistag Mehrheiten suchen und auf alle zugehen.“ Manch anderer würde es als aussichtsloses Projekt empfinden. Schütz will darin einen Vorteil sehen. Ihre Partei, die FDP, holte im Landkreis Görlitz bei der Kreistagswahl 2019 keine vier Prozent. In den vergangenen Europa-, Landtags- und Bundestagswahlen dominierte in der Region lange die CDU. Mit der AfD ist inzwischen ein weiterer starker politischer Player entstanden, an den die FDP nicht herankommt. Kristin Schütz gibt sich bei der Verkündung ihrer Kandidatur trotzdem selbstbewusst: „Ich will, ich kann!“
Schütz, Jahrgang 1975, kommt aus Marienberg im Erzgebirge. Ihr Diplom zur Verwaltungswirtin macht sie an der Fachhochschule Meißen. Ende der Neunziger wird sie erstmals politisch aktiv, als sie der Jungliberalen Aktion Sachsen beitritt. 1997 übernimmt sie die Sachgebietsleitung Kinder- und Jugendarbeit im Jugendamt Görlitz. Zwei Jahre später tritt Schütz der FDP in Görlitz bei – und ist seitdem Mitglied des Kreisvorstandes. Von 2004 an sitzt sie im Landtag des Freistaat Sachsen – bis die FDP 2014 an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Gut, dass die jetzige Kandidatin während ihrer gesamten Zeit als Landtagsabgeordnete weiter als Beamtin im Landkreis Görlitz arbeitete. Acht Jahre lang als stellvertretende Jugendamtsleiterin in Görlitz. Seit 2012 im Sachgebiet Recht des Jobcenters Görlitz.
FDP-Programm will noch Gaspipelines
Für das Amt der Landrätin bringt Schütz also reichlich Erfahrung aus der Praxis mit. Sollte das gelingen und Schütz Landrätin werden, dann tut wohl ein Blick ins Programm der Görlitzer Liberalen gut. Die FDP im Landkreis will Windkraftanlagen, Abstand zu Wohngebieten und Renaturierung der alten Tagebaue in einem, wie Schütz Neuer Lausitz bestätigte: „Wir wollen Windkraft zulassen, wie die gesetzlichen Vorlagen es ermöglichen. Dafür eignen sich die Renaturierungsflächen der Tagebaue besonders. Wir brauchen eben nicht den fünfunzwanzigsten See, sondern erneuerbare Energien.“ Bis die Energiesicherheit der Region durch erneuerbare Energien erreicht werden kann, wird es allerdings noch dauern.
Der im Koalitionsvertrag „idealerweise bis 2030“ erfolgende Kohleausstieg könnte sich nämlich gut verzögern. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Zukunft russischen Gases ungewiss – und damit die der so genannten Brückentechnologie, die zwischen Kohle und erneuerbaren Energien für Energiesicherheit sorgen soll. Beim Kohleausstiegs will sich Schütz aber nicht auf die Idealfälle verlassen, die ihrer Berliner Parteifreunde in der Ampel ausgehandelt haben: „Für mich ist, wie es auf Bundesebene im Koalitionsvertrag steht, die Gesetzeslage der Ausstieg 2038.“
Im Programm der örtlichen FDP heißt es zu Gas dennoch: es sei wichtig, „das Gaspipelinesystem auszubauen und die Kraftwerksstandorte in der Lausitz an die Gaspipelines anzubinden.“ Angesprochen auf die Idee, die ohne russisches Gas nicht funktionieren kann, erklärte Schütz: „Wir haben unser Programm am 19. Februar verabschiedet – unter den bis dahin gegebenen Tatsachen. Im Augenblick steht das außer Frage, so etwas kann in zwei, drei Jahren wieder diskutiert werden.“ Ob sich Schütz da nicht täuscht? Ihr FDP-Kreisverband datiert den Beschluss auf den 19. März – also mitten im Krieg. Eigentlich kann Kristin Schütz das nicht vergessen haben. Denn an diesem Tag wurde sie mit über 90 Prozent zur Kreisvorsitzenden gewählt.
AfD-Landrat verhindern
Die Fachfrau aus der Verwaltung steht aber auch für Wirtschaft. Wachstum will die Liberale mit vereinfachten und beschleunigten Planfeststellungsverfahren erzeugen. Zudem will sie sich für eine verbesserte Finanzausstattung des Landkreises gegenüber Landes- und Bundesregierung stark machen. Für den Strukturwandel sei nun wichtig, „schneller größere Maßnahmen umsetzen zu können“.
Gegenüber der Lausitzer Rundschau rückte die FDP-Kandidatin mit dem heraus, was ihrer Ansicht nach das wichtigste Ziel dieser Wahlen sei: „einen AfD-Landrat zu verhindern“. Angesichts der jüngsten gewalttätigen Überfälle von Neonazis auf Züge, die auf Bahnhöfen mit Steinen attackiert wurden, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Rechtsextremismus wieder sehr dringlich. Schütz nennt den Rechtsextremismus in Sachsen „eine ernstzunehmende Herausforderung, der wir uns stellen müssen, weil wir in den letzten Jahren einfach nicht mehr miteinander ins Gespräch gekommen sind und es verschlafen haben, Rechts- wie Linksradikalismus beim Namen zu nennen“. Was will sie dagegen tun? Mit politischer Bildung dagegenhalten und Einzelne mit ihren Aussagen konfrontieren. Diese seien nämlich, sagt Schütz der Neuen Lausitz, zum Teil direkt auf den Nationalsozialismus zurückzuführen.
Sollte Schütz genug Wählende überzeugen und am 12. Juni Landrätin werden, so hat sie auch eine klare Haltung gegenüber der AfD. Um Mehrheiten zu bilden, werde sie nicht auf die Stimmen der Rechten zählen. Sie will sich eigene Mehrheiten jenseits der AfD suchen. Sie nennt das Charme.