In Strom aus Wind und Sonne hatte die Kohleregion Lausitz traditionell wenig Vertrauen. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Man kann es eine Revolution nennen.
Von Christine Keilholz
So sicher wie der Segen am Heiligen Abend kommt jeden Winter die Warnung vor der Dunkelflaute. Irgendwann in den nächsten Wochen, wenn die Gans verdaut ist und die Tage trübe werden, wird es wieder heißen, dass die Lausitzer Kohlekraftwerke ran müssten, um das auszulöffeln, was die Politik mit ihrer Entscheidung für den Kohleausstieg dem Energiemarkt eingebrockt hätte.
Die berüchtigte Dunkelflaute gehört zum Repertoire der Kohleverteidiger, ist aber auch ein Stück regionaler Raison. Im Jahreskalender war es lange das nachweihnachtliche Dessert, das der Lausitzer Seele guttut. Es wirkt wie eine Verheißung. Wie der Heiland aufersteht, wird auch die Kohle aus ihrem staubigen Image befreit und dem Land aus der Energienot helfen. Wartet nur ab!
In diesem Jahr dürfte die Erzählung etwas anders lauten. Denn das Ersehnte ist geschehen. Die Kraftwerksblöcke von Jänschwalde laufen länger. Ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister namens Robert Habeck hat es verfügt. Deutschland setzt in der Energiekrise auf die Sicherheit, die die gute alte Lausitzer Kohle kurzfristig liefern kann. Alle haben die Kunde vernommen, aber Triumphgesänge sind nicht zu hören. Warum nicht, das kann Thorsten Kramer erklären.
Eine Zukunft ohne Kohle gilt nicht länger als Quatsch
Wenn der Vorstandsvorsitzende der Lausitzer Energie AG (Leag) auf einer Veranstaltung spricht, wird er unvermeidlich zum Hauptredner. Selbst beim Treffen der Lausitz-Runde am vergangenenen Donnerstag. Die tagte diesmal in der Leag-Zentrale, sodass der wichtigste Manager der Lausitz Gastgeber war. Kramers frohe Botschaft für seine Gäste hörte sich so an: „Ja, wir stehen dazu. Wir wollen kooperieren. Die Leag sucht Partner.“ Die Leag sucht Mitstreiter unter den Kommunen. Nicht aber, um nach alter Lausitzer Sitte die Kohlevorkommen effizienter auszubeuten. Sondern um grünen Strom in großem Stil herzustellen.
Revolutionen vollziehen sich langsam. Sie sind nicht immer mit dem bloßen Auge zu erkennen. In der Lausitz hat in diesem Jahr eine Revolution stattgefunden: Der Kohleausstieg ist Wirklichkeit geworden. Eine Zukunft ohne Kohle wird nicht länger mehrheitlich für Quatsch, wirtschaftliche Selbstzerstörung oder Strukturbruch gehalten. Sondern für sinnvoll – sogar für ein gutes Geschäft.
Die Lausitz-Runde ist dafür ein Indikator. Wenn sich hier die Meinung ändert, hat das Auswirkungen auf die ganze Region. Das einflussreiche Bündnis von 56 Kommunen, mehr oder weniger nah an der Tagebaukante, repräsentierte viele Jahre lang die Beharrungskräfte der Lausitz in Sachen Kohle. Einige dieser Städte und Gemeinden wurden nahe an den finanziellen Ruin getrieben, weil ihnen seit 2016 die Gewerbesteuern der Kohleindustrie entgehen. Ihre Kassenlage hängt zu einem großen Teil an den Entscheidungen, die in der Leag-Zentrale getroffen werden. Die Bürgermeister der vom Kohleausstieg kernbetroffenen Gemeinden betonten stets die wertschöpfende Bedeutung des heimischen Energierohstoffs und seiner Industrie.

Investoren suchen die Nähe von Grünstrom – nicht von Kohle
Das hört sich mittlerweile ganz anders an. „Wir haben gute Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung an Solaranlagen“, sagt etwa Ralf Brehmer. Der Bürgermeister von Rietschen erkennt durchaus den Segen für die Gemeindekasse, den ihm Photovoltaik und Windräder bringen können. „Grüne Energie bringt uns schon Wertschöpfung. Was keine gebracht hat, ist die reine Photovoltaik auf der grünen Wiese. Aber da sind wir längst weiter.“
Mit dieser Einsicht steht Brehmer nicht allein. Für die Stadt Guben ist die Verfügbarkeit von CO2-neutraler Energie längst zum Standortfaktor geworden. Die Industrieansiedlungen von „Rock Tech“ und „Botree Cycling“ sind nur möglich gewesen, weil die Stadt Solarflächen in der Nähe anbieten kann. Kohle spielte dabei keine Rolle. „Grüner Strom, Gas und die Aussicht auf eine Wasserstoff-Pipeline, danach fragen Investoren“, sagt Bürgermeister Fred Mahro. Selbst bei der Bifi-Fabrik spielte das eine Rolle. Wie es scheint, bewirkt der Kohleausstieg weder Deindustrialisierung noch wirtschaftlichen Exodus aus der Lausitz, wie es lange befürchtet wurde. Sondern das Gegenteil. Revolution ist, wenn sich das herumspricht.
Charmeoffensive für das „Green Powerhouse“
Es geschah in mehreren Schritten. Irgendwann tauchte der Begriff eines „Green Powerhouse“ auf, das die Lausitz werden soll. Irgendwann mehrten sich auf den einschlägigen Business-Treffen der Region die Präsentationen, auf denen sich Windräder drehen. Dann im September kam der Paukenschlag mit der Gigawatt Factory – einem Energiekonzept, bei dem sich Wind, Solar und Kraftwerke gegenseitig stützen. Diese Revolution ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis einer Kommunikationsstrategie, deren Urheber der Leag-Vorstandschef ist.
Thorsten Kramer hat nicht nur auf einer Ochsentour durch die Kommunen für seine Pläne geworben. Er hat auch auf allen wichtigen Wirtschaftsbühnen verkündet, dass die Leag weg wolle von ihrer Ein-Produkt-Strategie als Kohleverstromer. Der Clou dabei: Wenn die Botschaft wirtschaftlich sinnvoll klingt, dann wird sie gekauft – selbst, wenn sie gestern noch als ökopolitisches Traumtänzertum verschrien war.
So geschehen im September beim Energieforum in Leipzig. Das jährliche Hochamt der Unternehmerverbände Ostdeutschlands wurde vor Jahren ins Leben gerufen als starke Stimme des Widerstands gegen den Kohleausstieg. Hier galt das Glaubensbekenntnis: „Nur Kohle sichert billigen Strom!“ Dieses Mal wehte ein ganz anderer Wind durch die Hallen in der Leipziger Baumwollspinnerei. Die Großen in der Runde – wie EnviaM oder VNG – präsentierten stolz ihre Erneuerbaren-Projekte. In den Pausen durften Energie-Startups ihre Windsegel pitchen. Die Wirtschaft der ostdeutschen Bundesländer hält die Grundlastfähigkeit von grünem Strom inzwischen für denkbar. Damit ist die Energiewende in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Dies ist ein Text aus dem Neue Lausitz Briefing vom 13. Dezember 2022.

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